Sie ist das meistunterschätzte Rauchgerät in der Genusswelt: Die Maiskolbenpfeife hat in Europa noch nicht einmal ein Image. Doch sobald man sie raucht, verwandelt sich die Unscheinbare aus den Vereinigten Staaten flugs in eine Prinzessin. Dazu braucht es weder eine Fee noch einen Kürbis, nur ganz wenig Mäuse. Sobald der Tabak glimmt, entfaltet sich der Zauber als purer Rauchgenuss. Was macht die Corn Cob Pipe so besonders?
Mark Twains „Huckleberry Finn“ hatte eine, der Comic-Seemann „Popeye“ ebenso und General MacArthur besaß gleich mehrere: Maiskolbenpfeifen. In ihrer schlichten Konstruktion ist die Corn Cob Pipe eine der Urformen des Tabakgenusses. Vor gut 150 Jahren bescherte diese Pfeife einem holländischen Einwanderer sein eigenes Cinderella-Märchen, das sich in die lange Liste der Tellerwäscherkarrieren einreiht: Mitte des 19. Jahrhunderts emigrierte Hendrik Tibbe in die USA, nachdem er in seiner Heimat Enschede bei einem Brand fast alles verloren hatte. In der Kleinstadt Washington/ Missouri, fand er ein neues Zuhause und als Möbeltischler seinen Broterwerb. Während im Märchen eine gute Fee den Handlungsverlauf positiv beeinflusst, war es bei „Henry“ Tibbe ein Farmer, der den Stein ins Rollen brachte. Ob Tibbe mit seiner Drehbank einen Maiskolben in einen Pfeifenkopf transformieren könne, wollte der Landwirt wissen. Für den Schreiner war es ein Leichtes und so begann 1869 die Erfolgsstory der heutigen „Missouri Meerschaum Company“. 1907 gab sich die Pfeifenmanufaktur „H. Tibbe & Son“ diesen ungewöhnlichen Namen, um damit zu werben, dass ihre Maiskolbenpfeifen ebenso federleicht und angenehm zu rauchen seien wie die exklusiven Verwandten aus Magnesiumsilikat. Und man wollte sich von den Mitbewerbern absetzen, die sich inzwischen im Franklin County niedergelassen hatten. Denn Washington/ Missouri hatte sich bald zum Zentrum der Corn Cob-Industrie entwickelt – 1925 gab es im Bezirk rund ein Dutzend Hersteller von Maiskolbenpfeifen, etwa „Hirschl & Bendheim“ oder „Buescher Industries“. Heute sind sie alle verschwunden. Die „Missouri Meerschaum Company“ aber blieb.
Gechillt & tiefenentspannt
Nach dem Zweiten Weltkrieg eroberten viele Genussmittel aus den USA den europäischen Markt: Vor allem Zigaretten, Kaugummi, Cola und Whiskey verkörperten das neue, moderne Lebensgefühl. Andere schafften nicht den Sprung über den großen Teich, etwa der (großblätterige) Kautabak und die Maiskolbenpfeife. Sie verkörperten schon in den 1950ern das „alte Amerika“ – statt „schnell & dynamisch“ sind sie „gechillt & tiefenentspannt“. Selbst in den beiden Jahrzehnten danach, als Pfeiferauchen total angesagt war, klemmten schicke Bruyèrepfeifen zwischen den Zahnreihen, aber keine Corn Cob Pipes. Vielleicht wollte man – nach Jahren des Mangels und der Improvisation – nicht mit einer Pfeife gesehen werden, die aussieht wie selbstgemacht?
Back to the roots
Rund 70 km westlich von der rastlosen Metropole St. Louis liegt Washington am gemächlich dahinströmenden Missouri River. Es ist ein schmuckes Städtchen. Mit seinen historischen Holz- und Backsteinhäusern (samt kurzgeschnittenen Rasen und alten Bäumen), mit seinen Läden, Restaurants und Cafés lockt der Ort zahlreiche Touristen an. Geschichte wird hier zelebriert, Jahreszahlen werden groß geschrieben. Wer an der West Front Street entlangschlendert, die dem Flussverlauf folgt, steht irgendwann vor dem dreistöckigen Firmengebäude der „Missouri Meerschaum Company“. Unübersehbar prangt der Schriftzug an der pittoresken Backsteinfassade, von den hohen Fenstern blättert weiße Farbe ab und ein Schild verweist auf den rückseitigen Shop samt Museum. Doch die Ruhe täuscht. Im Inneren produzieren rund drei Dutzend Mitarbeiter 5000 Pfeifen täglich in Handarbeit. Der Soundtrack der betagten Maschinen, an denen gesägt, gebohrt und geschliffen wird, füllt mehrere Etagen. Überall stehen große Holzkisten voller Maiskolbenstücke in verschiedenen Stadien der Bearbeitung. Es sind spezielle Sorten, die hier verarbeitet werden – mit großem Durchmesser und einem härteren Kern. Je nach Ausführung bleiben manche Pfeifenköpfe so faserig wie ein abgenagter Kolben. Andere erhalten eine glättende Gipspaste, die der Firmengründer anno 1878 patentieren ließ und ihr den klangvollen Namen „Plaster of Paris“ gab. Mittlerweile existiert eine große Palette an unterschiedlichen Größen und Formen: Von der handlichen Shagpipe „Miniature“ in naturbelassener Optik, bis zur stattlichen „MacArthur Classic Polished Bent“. Allen gemein ist ein einfacher Holz- oder Bambusholm, meist mit schlichtem Acrylmundstück und teilweise mit 6 mm Filterbohrung.
Rustikale Reize
Die Optik einer Maiskolbenpfeife ist unverwechselbar. Man kann sie drehen und wenden wie man will: Ihr Äußeres hat nichts mit der Eleganz und der offensichtlichen Wertigkeit einer Bruyèrepfeife gemein. Die Corn Cob Pipe ist schlichtweg rustikal. Punkt. Von ihren europäischen Verwandten aus dem Wurzelholz der Erica arborea unterscheidet sie sich so grundlegend wie ein Willys Jeep der 1950er von einem aktuellen G-Klasse Mercedes. Also mehr Lagerfeuer als Opernball. Doch man sollte sich davor hüten, die simple Ausführung zu belächeln. Der US-Jeep ist ebenfalls flink im Gelände unterwegs, kann auch ohne Diagnosegerät repariert werden und ein Kratzer im Lack ist keine Katastrophe. Genauso ist die Maiskolbenpfeife eine Begleiterin, mit der man durch Dick und Dünn gehen kann. Dass sie nur einen Bruchteil eines Einsteigermodells aus Bruyère kostet, ist nur eine von vielen Vorzügen. Wenn ihre Oberfläche mal Schaden nimmt oder sie gar verloren geht, dann lässt sich das (finanziell) gut verkraften. Deshalb eignet sie sich ebenso als Geschenk. Ein Anfänger/ eine Anfängerin muss auch nicht tief in die Tasche greifen, wenn er/ sie das Pfeiferauchen einfach mal ausprobieren will. Da ist die Corn Cob Pipe so liebenswürdig-unverbindlich wie ein Rheinländer. Und was das Einrauchen betrifft: das gibt es bei ihr nicht. Der amerikanische Handkamin ist sofort einsatzfähig. Seine Härte erhält der entkernte Kolben während seiner zweijährigen Lagerzeit, in der er sich auch zum Leichtgewicht entwickelt. Kritiker werfen dem Naturprodukt gerne eine geringe Haltbarkeit vor. Wenn die Pfeife aber pfleglich behandelt wird, zwischen den Füllungen auch mal trocknen darf und nicht in China produziert wurde, kann von einer Lebenserwartung von bis zu zwei Jahren ausgegangen werden. Das berichten jedenfalls ihre Anhänger. Sie hat aber noch ein weiteres As im Ärmel.
Das As im Ärmel
Wenn man die Corn Cob ohne großes Tamtam gestopft hat und das erste Mal entflammt, wird man ein leichtes Cornflakes-Aroma registrieren. Manche assoziieren es auch mit Pop Corn. Schließlich war der Pfeifenkopf mal ein Maiskolben. Nach ein paar Durchgängen hat sich der Geschmack aber verflüchtigt und nun kann die unscheinbare Amerikanerin zeigen, was sie drauf hat: Ihr Rauch ist so kühl und trocken wie bei einer Meerschaumpfeife. Kein Holzaroma stört den Genuss – der Tabak zeigt sich so wie er ist. Weil der Kolben der Gattung „Zea mays“ im trockenen Zustand sehr saugfähig ist, können auch unterschiedliche Tabake in der selben Corn Cob geraucht werden, ohne dass sie sich in die Quere kommen. Ausgerechnet der amerikanische Autor und schmerzbefreite Dauerraucher Mark Twain hatte immer „einen armen Schlucker“ dafür bezahlt, dass er seine neue Maiskolbenpfeife mindestens zwei Wochen lang intensiv einrauchte. Danach wechselte er das Mundstück aus und entflammte den kleinen Kamin so oft bis er auseinanderfiel. Twain mag ein eigenwilliger Kopf gewesen sein, auf seine uramerikanischen Pfeifen ließ er aber nichts kommen: Als ihn 1890 der britische Schriftstellerkollege Rudyard Kipling besuchte und irgendwann tadelte, weil er edlen türkischen Tabak in eine schlichte Corn Cob stopfte, antwortete Mark Twain augenzwinkernd: „Ich verstehe, was Sie meinen. Aber das schadet dem Tabak nicht.“ Und nach einer kurzen Pause konstatierte er knapp: „Dies, mein Herr, ist keine Corn Cob Pipe. Es ist eine Missouri Meerschaum.“
Die Leidenschaft wächst weiter
Inzwischen hat die Manufaktur aus Washington ihr Portfolio erweitert. Seit kurzem gehört die „Old Dominion Pipe Company“ zum Unternehmen. Anders als es der Name vermuten lässt, wurde diese Firma erst 2013 von den Brüdern Bob und Bill Savage an der Ostküste von Virginia gegründet. Ursprünglich aus der Idee entstanden, eine alte Maissorte der amerikanischen Ureinwohner wiederzubeleben, stellten sie aus den Kolben bald Pfeifenköpfe her, die sie mit einem Bambusholm kombinierten. Die Nachfrage war irgendwann jedoch so groß, dass sie ihr Rohmaterial ab 2016 von den Herstellern in Missouri bezogen. Was ursprünglich als Nebenerwerb geplant war, wuchs den Savage-Brüdern aber zunehmend über den Kopf. So war der Verkauf ihrer Marke an die „Missouri Meerschaum Company“ schließlich die logische Schlussfolgerung. Im Märchen Cinderella hält der Feenzauber bekanntlich nur bis Mitternacht, bei den Machern der Corn Cob Pipes sind es mittlerweile über 150 Jahre. Heute werden Tibbes Rauchgeräte in 70 verschiedene Länder exportiert. Nicht nur die USA schwören auf die rauchenden Maiskolben, auch in Asien, Südamerika und Australien finden sich immer mehr Anhänger; in Europa ist nach wie vor Skandinavien der größte Absatzmarkt. Ob auch Deutschland für diese ursprüngliche, unverfälschte und unprätentiöse Art des Tabakgenießens in Zukunft offen ist, wird sich zeigen.
Text Elmar Schalk | Fotos Nina Bauer
Comments