Als ich es mich das erste Mal in die Extremadura verschlug, das war vor ca. 40 Jahren bei Nacht und Nebel, hatte ich von dieser westlichen Ecke Spaniens noch nie gehört. Grund meines Abstechers war die Verlegung einer Party von Madrid nach Cáceres. Damals gab es noch keine Autobahn und die Fahrt ins Unbekannte dauerte sechs Stunden. Ich landete gegen Mitternacht im Rittersaal eines ehrwürdigen Palacio bei einer Tischgesellschaft des spanischen Hochadels. Rechtzeitig zum Hauptgericht. Anstatt Schwofe war, wie ich zum Ende des Dinners erfuhr, Jagd angesagt. Abfahrt wenige Stunden später. Nur Partyfummel im Gepäck, half mir Gastgeberin Marquesa de Oquendo mit dicken Stiefeln und Pelz gefüttertem Parka aus. Und so stand ich am frühen Morgen im Wald und bibberte trotzdem vor Kälte. Es war Januar. Ich lernte also hautnah, was Extremadura zu bedeuten hat: extrem hart. Doch die Römer, die hier vor 2000 Jahren siedelten, meinten etwas anderes: Jenseits des Durius. Denn sie kamen über den Fluss, der heute Douro heißt und in Porto mündet. Nämlichen im Blick, wundert man sich nicht, warum gerade Spaniens größte Eroberer, Hernán Cortes und Francisco Pizarro, aus diesem Meeresfernen Landstrich stammten. Das zauberhafte Cáceres blieb in Erinnerung und die Störche, die auf den unzähligen Renaissance-Palästen nisteten. Die Störche haben sich inzwischen in umliegende Dörfer und auf Strommasten verzogen. Zwischen den alten Mauern tummeln sich heutzutage Filmteams wie von „Games of Thrones“. Und das Pied à Terre der Marquesa wurde zu Hotel NH Collection Palacio de Oquendo umfunktioniert.
Dank der alten Römer und der Conquistadores präsentiert sich die Extremadura mit diversen architektonischen Juwelen. Merida beispielsweise, wie Cáceres UNESCO Weltkulturerbe. Oder Trujillo. Das Städtchen hat es mit seinem Ruhm bis nach Hollywood geschafft. Der Held im mit fünf Oscars prämierten „Gladiator“, Maximus Decimus Meridius alias Russell Crowe, träumte im Sterben von seiner dortigen Heimat. Wogendes Getreide, Olivenbäume und Eichen entsprechen durchaus der Realität. Die dünnbesiedelte und Industrie arme Gegend steht nämlich für nachhaltige Landwirtschaft. Die Rinde der Eichen landet als Korken auf Weinflaschen und die nahrhaften Nüsse sind Leibspeise der berühmten Iberico- Schweine. Ihre delikaten Schinken bietet der Handel bei uns als Pata Negra an. Oder, wenn feinste Qualität gemeint ist, als Bellota.
Im historischen Zentrum von Cáceres bummle ich auf Schritt und Tritt durch die Geschichte. Dank meines Guides erwachen die uralten Gemäuer zum Leben. Das maurischen Bollwerk beispielsweise, das von blutigen Kämpfen zwischen Moslems und Christen spricht. Oder die Zisterne im Keller des Palacio de las Veletas. Sie ist die größte der antiken Welt nach der Yerebatan Sarniçi in Istanbul. Doch ich entdecke zudem moderne Zeiten und staune nicht schlecht, als sich die schwer beschlagene Holztür zum „Casa Palacio de los Paredes-Saveedra“ öffnet. Ich tauche in ein Luxushotel mit elf riesigen Suiten. Das Bauwerk mit seinen Säulen, Kreuzgewölben und Rundbögen geht auf das 16.Jahrhundert zurück. Doch das Interieur besitzt die Strahlkraft von weißem skandinavischem Design. Jedes Möbel ist aus erlesenen Materialien handgefertigt, die Marmorbadewannen vom Steinmetz ausgehöhlt, die hölzerne Abtrennung zur Bar wie Toblerone aufgefaltet und mit Blattgold belegt. Dezenter Glamour darf sein. Obendrein bespielt moderne Kunst die ganze Ausstattung. Der puristische Stil begegnet mir nicht zum ersten Mal in Cáceres. Inhaber der Casa Palacio, José Polo und Toño Perez, nennen ebenfalls Relais & Chateau „Atrio“ nebst gleichnamigem drei Sterne Restaurant ihr Eigen. In den Katakomben versteckt sich zudem einer der weltbesten Weinkeller. Für die Entwürfe, hier wie dort, schreibt Emilio Tuñón verantwortlich, Gewinner zahlreicher internationaler und iberischer Awards. Zudem ist die Pfälzerin Helga de Alvear mit von der Partie. Ein Geschenk der Kunstsammlerin, 80 sogenannte Caprichos von Francisco de Goya, sind in der Casa Palacio zu bewundern. Das Museum der gebürtigen Deutschen indes liegt am Rande der Altstadt. 2021 mit einem Neubau von Tuñón erweitert, birgt es um die 3000 Werke zeitgenössischer Künstler und gilt als die bedeutendste Privatsammlung der Modern Art in Europa.
In Merida, 25 v.Chr. von Kaiser Augustus als Kolonie für bewährte Feldherren gegründet, steige ich noch tiefer in die turbulente Historie der Extremadura ein. Das darf man wörtlich nehmen. Denn das römische Amphitheater mit zweistöckiger Bühne duckt sich in eine Mulde. Und auch im spektakulären Nationalmuseum für Römischen Kunst wandere ich nach unten, um Mosaike und Fresken am Originalschauplatz zu inhalieren. Dem Nationalmuseum gegenüber locken reizvolle Delikatessen Geschäfte mit Spezialitäten der Region. Im Schaufenster von Feliciano Beccera Jiminéz baumeln appetitliche Iberico-Schinken von der Decke. Nichts wie rein. Der Inhaber erklärt die verschiedenen Qualitäten. Sie hängen von Haltung, Ernährung und Menge der konsumierten Eicheln ab sowie von der Reifung des Schinkens. Bei Spitzenprodukt Bellota erfreuten sich die munteren Schweine an einem Leben im Freilauf. Bei der Aufzucht werden sie mit natürlichem Futter versorgt und fressen sechs Wochen vor der Schlachtung nur noch reife Eicheln. Das schmeckt man. Das vielfältige Aroma der hauchdünn gesäbelten Scheibchen mit öliger Textur schmilzt am Gaumen. Unter den Käsen finde ich ebenfalls ein Lieblingsprodukt: Torta del Casar. Das ist ein cremig- würziger Schafskäse aus dem gleichnamigen Dorf bei Cáceres. Im reifen Zustand hat er nur einen Nachteil: Einmal angefangen zu löffeln, schneiden lässt sich der Weichling nicht mehr, findet man kein Ende.
Schinken und Käse machen feinsten Proviant auf meinen EBike-Touren auf den sogenannten Via Verdes. Die grünen Wege sind gut ausgebaute Strecken, teilweise auf ehemaligen Bahntrassen. Eine führt durch den Nationalpark Monfragüe. Die Gebirgsszenerie birgt den Rio Tajo, der in Lissabon als Tejo in den Atlantik strömt. Spannendstes Spektakel in der Schlucht sind die zahlreichen Geier. Allein 300 Paare Mönchsgeier sind in den Klippen aktiv, speziell am Felsenvorsprung „Salto del Gitano“. Der Legende nach hat sich ein Zigeuner von der Höhe hinuntergestürzt, auf der Flucht vor der Guardia Civil. Die spanische Zivilpolizei verdächtigte ihn des Pferdediebstahls. Auf der anderen Seite des Flusses thront eine alte Radio- und Wetterstation. Dort hocken die riesigen Aasfresser zu Dutzenden auf Beobachtungsposten. Oder schweben im Anflug in der Thermik. Der 250 m hohe Ausguck ist die perfekte Location fürs Picknick. Schnabulieren unter den gierigen Blicken von Geiern, das hat was. Manche schaukeln so dicht vorbei, dass ich das Rauschen der bis zu 2,80 Meter breiten Schwingen höre. Ein Naturerlebnis erster Klasse. Unwillkürlich decke ich meine Fressalien ab. Man weiß ja nie.
Von Kiki Baron
Fotos: Paul Spierenburg
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