Wann steht man schon mal auf dem Dach? Okay, in Rooftop Bars, von denen es in Istanbul zahlreiche gibt, schon eher. Ich jedoch stehe auf dem Dach des Grand Bazars. Unter mir 62 Gassen durch 18 Han. So werden die Viertel genannt, in denen sich traditionell eine Handwerkszunft etabliert hat. Der Begriff geht auf Karawanserei zurück. Insgesamt sind es 2486 Shops mit überquellendem Angebot auf 48.000 qm². Sei es Goldschmuck, Lederwaren und Teppiche, Kitsch und Tand oder jede Menge billiger Fakes von Taschen und Schuhen namhafter Fashion Labels. Jeder Quadratmeter Laden ist um die 32.000 Euro wert und wie ich hörte gibt es bis zu 35 Eigentümern. Bei den Zahlen könnte einem schon mal schwindlig werden. Auf dem Dach sowieso, denn es sind nur Handtuchbreite Betonpfade, über die ich mich bewege. Auf den Spuren von James Bond! Wer erinnert sich? In „Skyfall“ rast Daniel Craig auf schwerem Bike über die Ziegelgewölbe. Die Restaurierung ging übrigens zu Kosten der Filmgesellschaft. Was Restaurierungen und Neubauten angeht, hat die 20-Millionen-Metropole in den letzten Jahren zugeschlagen. Im April 2019 wurde der neue Airport eröffnet, Heimathafen von Turkish Airlines und mit 64,5 Millionen Fluggästen im Jahr 2022 der größte in Europa. Die formschönste Konstruktion hat Stararchitekt Renzo Piano entworfen – Istanbul Modern. Das transparent wirkende Museum für Kunst der Gegenwart schwebt scheinbar schwerelos als langgezogener Riegel an der neuen Promenade im Stadtteil Beyoğlu. Und damit im ehemaligen Zollhafen, jetzt Kai für Kreuzfahrer. Die überdimensionale Bronzeskulptur an der breiten Fußgängerzone zeigt den Menschen, auf dessen visionären Geist die neo-klassizistische Architektur des Viertels zurückgeht – Kemal Atatürk, „Vater der Türken“. Vor 100 Jahren gründete er die Republik Türkei.
Ich schlendere über die Marmor-Promenade, gucke den Möwen nach und lausche dem Geschrei der akrobatischen Gleiter. Die Vögel sind allgegenwärtig und gelten als fliegende Ikonen von Istanbul. Auch gut genährte Katzen sind omnipräsent. Die lokale Bevölkerung liebt sie heiß und innig. Ob Streuner oder in freilaufendem Besitz von irgendwem, sie tauchen überall auf. Neugierig genug, um sogar auf abgeriegeltem Terrain herumzuscharwenzeln. Wie auf der herrlich-grünen Bosporus-Terrasse von „The Peninsula“. Das Luxushotel, 100 Meter von Istanbul Modern entfernt, wurde wie Pianos Bauwerk ebenfalls in diesem Jahr eröffnet. Zweifelsohne jetzt die beste Adresse in Istanbul, um die Übernachtung zum exklusiven Erlebnis zu gestalten. Es erstreckt sich über vier historische, sorgfältig restaurierte Gebäude im alten Hafenviertel Karaköy. Die acht Meter hohe Lobby im Bauhaus-Flügel diente einst als erstes modernes Kreuzfahrtterminal in der Türkei. Das Inventar spricht von feinster lokaler Handwerkskunst. Beispielsweise die Lampenschirme. Vorbilder waren Textilien der deutsch-amerikanischen Bauhaus-Künstlerin Anni Albers. Was mich am meisten überrascht, ist die bis ins kleinste Detail ausgeklügelte Ausstattung der Zimmer und Suiten. Wobei, so ganz überraschend ist das nicht, denn die Hongkonger Peninsula Gruppe steht just für erlesene Finesse, die über Entwürfe von Interior Designern hinausgeht. Sie zielt nämlich nicht nur auf bildschöne Optik von hochwertigsten Materialien und Möbeln. Sie ist auch für den Luxusverwöhnten Gast in Sachen Nutzung durchdacht. Der Nagellacktrockner mag ein origineller Gag sein. Doch die Dusche beispielweise kann ich auch ohne Brille handhaben. Weil die Armaturen deutlich beschriftet sind. Also, kein Tropenschauer von oben, wenn man nur die Handdusche betätigen will. Größte Freude allerdings, und in fast allen anderen Luxushotels dieser Welt für mich Verdruss, macht die Beleuchtungstechnik. Auf digitalen Paneelen in den jeweiligen Räumen, sei es Schlafzimmer, Ankleide, Foyer, Barschrank oder Bad und auch am Bett, kann man jedes einzelne Licht an- und ausschalten oder dimmen. Von meinem Zimmer im Jugendstil-Gebäude von 1901 schaue ich sowohl auf den Bosporus wie auch auf die Einfahrt ins Goldene Horn. Auf dem Hügel gegenüber recken sich die Minarette von Haghia Sofia, Yeni und Süleyman Moschee. Dazwischen ziehen Fähren und Motoryachten weiße Spuren auf dem Wasser. Ein fabelhaftes Panorama, das man zum Sonnenuntergang vielleicht noch reizvoller von der Rooftop-Terrasse des Hotels in seinem Gourmet Restaurant „Gallada“ genießen kann. Ein Gläschen Champagner oder Wein und ein paar köstliche Speisen dabei. Chefkoch Fatih Tutak lässt sich von Spezialitäten entlang der Seidenstraße inspirieren, ein Mix also aus türkischer und asiatischer Küche.
Die Location des Peninsulas ist optimal. Andere Gäste mögen sich in den Luxuslimousinen des Hotels kutschieren lassen. Ich vermeide lieber die unsäglichen Staus und fahre mit Öffis. Wie mit den Bosporus-Fähren. Die Pier liegt gleich nebenan. Auch Tünel ist nah. Das ist die unterirdisch verlaufende Standseilbahn von 1875, eine von Europas ältesten. Sie liftet hinauf auf den Galata-Hügel und zu Istanbuls legendärer Einkaufsmeile Isteklal Caddesi. Mit quietschender Uralt-Tram, ähnlich wie in San Francisco oder Lissabon, geht es dann hoch zum Taksim Platz. Auch dort punktet ein neues Bauwerk mit Opern- und Theaterbühne sowie Galerie, das AKM (Atatürk Kulturzentrum). Und, auf dem Dach, das unlängst
eröffnete „Biz“. Das furiose, modern gestaltete Restaurant-cum-Bar beherbergt unterschiedliche Konzepte. Zum einen Fine-Dining mit internationalen Gerichten, zum anderen ein Buffet mit köstlich-herzhaftem Comfort Food, das aus der Show-Küche frisch zubereitet kontinuierlich nachgelegt wird. Die Speisen sind spannend, weil unbekannt. Die Rezepte stammen aus armenischer und osmanisch imperialer Küche. Auch solche aus sephardisch jüdischen Haushalten sind darunter. Spektakulär die Terrasse mit 400 Plätzen und natürlich das 240‘-Panorama. Leute gucken gehört ebenfalls zum Vergnügen. Hier tafelt nämlich Istanbuls High Society. Und sich eine feine Zigarre anstecken darf man auch
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