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Loriot zum 100


Vor 100 Jahren wurde Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow geboren. Diese Information wäre kaum eine Randnotiz wert, wenn es sich nicht um Loriot, einen der größten Humoristen des Landes, ­handeln würde. Anlässlich des Jubiläums gibt es unzählige Ausstellungen, Briefmarken, Festkonzerte, Sondersendungen, Bücher und Gedenkmünzen. Er selbst hätte wohl abgewunken: „Kinders, das ist ja ganz nett, aber auch etwas übertrieben.“

 Text: Elmar Schalk  Fotos: Nina Bauer


Mit Denkmälern ist das so eine Sache. Sie werden eingeweiht, ge­feiert, verziert oder vom Sockel gestoßen. Nachdem 2013 zu Ehren Loriots eine drei Meter hohe Kalksteinsäule in Stuttgart errichtet wurde, blieb das nicht ohne Folgen. Denn kurz darauf thronte – völlig unerwartet – ein goldener Steinmops on top. Woher er kam, wusste niemand. Als dieser jedoch genauso plötzlich wieder verschwand, war die Trauer unter den Bürgern groß. Mit einer Spendenaktion wurden Gelder gesammelt, und ein halbes Jahr später konnte der Oberbürgermeister feierlich einen diebstahlssicheren Vierbeiner aus Bronze enthüllen. Dem Humoristen hätte die Episode gefallen. Weniger witzig sind die neuesten Schlagzeilen um den Stuttgarter Mops. Die Tierschutzorganisation Peta fordert, dass eine Informationstafel mit "rassetypischen Krankheitsbildern" neben dem Denkmal angebracht wird. „Aah-ja.“ hätte einer der Loriotschen Charaktere darauf erwidert. Die Welt hat sich eben in vielen Bereichen verändert, seit Vicco von Bülow im November 1923 das Licht der Welt erblickte.


Zeitreise ins 19. Jahrhundert

Als seine Mutter starb, kamen der Sechsjährige und sein jüngerer Bruder Albrecht zu Großmutter und Urgroßmutter nach Berlin. Für vier prägende Jahre: Während sich draußen die Goldenen Zwanziger dem Ende zuneigten, stand in Großmutters Wohnung die Zeit still, friedvoll konserviert im 19. Jahrhundert. 1933 gings zurück zum Vater, der wieder geheiratet hatte; fünf Jahre später zog die Familie nach Stuttgart. Der junge von Bülow blickte auf eine lange Ahnenreihe preußischer Offiziere zurück, so schien für den damals 17-jährigen der Weg 1941 vorgezeichnet. Ungeachtet mangelnder Alternativen – es war sicher nicht seine beste Idee. Drei Jahre Ostfront hatten eigene Spuren hinterlassen, zudem war wenige Wochen vor Kriegsende sein Bruder Albrecht gefallen. Loriot gehörte nie zu denen, die ihre Umwelt mit ihrem Gefühlsleben „belästigen“, das verbot ihm allein schon die Erziehung. Doch auf die Frage, ob er ein guter Soldat gewesen sei, antwortete er in seinem vorletzten Interview 2011: „Nicht gut genug, sonst hätte ich am 20. Juli 1944 zum Widerstand gehört. Aber für den schauerlichen deutschen Beitrag zur Weltgeschichte werde ich mich schämen bis an mein Lebensende.“


Auf den Hund gekommen

Nach dem Krieg erarbeitet sich v. Bülow seine Lebensmittelmarken als Holz­fäller in Niedersachsen und holt sein offizielles Abitur nach. Daraufhin macht ihm sein Vater einen Vorschlag, den man damals (erst recht von einem Offizier) nicht erwartet hätte: „Du kannst doch ganz gut zeichnen. Warum studierst du nicht Malerei?“ Gesagt, getan. Nach sechs Semestern an der Hamburger Kunstakademie verdient er sein erstes Geld notgedrungen als Werbegrafiker. Er will die Modedesignstudentin Rose-­Marie "Romi" Schlumbom heiraten. Da erhält er das „abwegige Angebot“, für eine Illustrierte Cartoons zu zeichnen. So tief will von Bülow nicht sinken und er ist festentschlossen, abzulehnen. Aber der Job ist gut bezahlt und das Geld habe ihn korrumpiert, wie er später mit feinem Lächeln erklärte. Fortan signiert er unter Pseudonym; „Loriot“ ist das französische Wort für Pirol – dem Wappenvogel der Familie. Bald werden größere Magazine auf ihn aufmerksam, für den Stern soll er 1953 gar eine ganze Serie zeichnen. In „Auf den Hund gekommen“ sind die Rollen zwischen Zwei- und Vierbeinern subversiv vertauscht. So sagt etwa ein Hund, während sein Mensch dekorativ die Wohnung verwüstet: „Trotzdem – ich liebe Menschen…“ Einige Leser fühlen sich von den Cartoons beleidigt, schreiben bitterböse, hasserfüllte Briefe und drohen mit der Kündigung des Abonnements. Angesichts des prädigitalen Shitstorms setzt der Chefredakteur Henri Nannen seinen Zeichner an die Luft: „Ich will den Kerl nie wieder im Stern sehen!“ Kurz darauf holt er ihn für „Reinhold das Nashorn“ zurück – ein Comicstrip für Kinder, der 17 Jahre lang die Beilage bereichern sollte. Währenddessen erscheint „Auf den Hund gekommen“ als Buch im Schweizer Diogenes Verlag, womit eine lebenslange Zusammenarbeit beginnt.


Eine Knollennase erobert Deutschland

Inzwischen sind die Knollennasenmännchen sein Markenzeichen. Die Nasenform sei damals eher aus Bequemlichkeit entstanden, erklärte der Zeichner später: „Ich habe anfangs spitze Nasen gezeichnet, die aber aufgrund der Vielzahl immer runder wurden.“ Mitte der 1950er findet man nun in vielen Zeitschriften Cartoons von Loriot, und auch die Werbung setzt auf den Humoristen mit der spitzen Feder. Unnachahmlich sind etwa seine Zeichentrick-Werbespots für die Tabakmarke Stanwell. Den Slogan „Drei Dinge braucht der Mann: Feuer – Pfeife – Stanwell!“ kombiniert der passionierte Pfeifenraucher mit alltäglichen und absurden Situationen. Gekonnt sägt er in seinen Cartoons und Zeichentrickfilmen, wie auch später in seinen Sketchen, am eilig emporgezimmerten Thron des Nachkriegsbürgers. Seinen Figuren verleiht er gerne etwas oberflächlich Erhabenes, um sie dann darüber stolpern zu lassen. Loriot ist als humoristischer Zeichner gefragt. Und am Rande als ernster Filmschauspieler. So hat der Mittdreißiger einige kleinere Rollen, etwa in Bernhard Wickis „Die Brücke“ oder in der Hollywoodproduktion „Der längste Tag“. Noch kann niemand ahnen, dass beide Fachrichtungen bald zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen sollten. Doch zunächst zieht der Künstler mit seiner Familie nach Bayern. In Münsing-Ammerland, unweit des Starnberger Sees, hat er 1963 ein schmuckes Herrenhaus nach eigenen Entwürfen bauen lassen, wie es im XXL-Format auch in seinem Geburtsort Brandenburg an der Havel stehen könnte.


Die Nichtschwimmernudel

1967 erhält Vicco v. Bülow eine Anfrage der Dokumentarabteilung des Süddeutschen Rundfunks, ob er nicht – als ausgewiesener Experte in diesem Bereich – die Moderation für die neue Sendung „Cartoon“ übernehmen wolle. Neuem ständig aufgeschlossen, tritt Loriot den Posten in Stuttgart an, um die Arbeiten seiner internationalen Kollegen von einem roten Sofa aus vorzustellen. Weil das Material irgendwann knapp wird, bittet man ihn, eigene Zeichentrickfilme beizusteuern. Und bald werden auch erste selbstgespielte Sketche gesendet. „Das war meine Lehrzeit“, ­erklärte der Humorist im Hinblick auf seine spätere Fernseharbeit. Privat hat er das Formelle geliebt und liebend gerne überzeichnet. Seine kuschelige, viktorianisch angehauchte Zeit verwendete er oft als angestaubte Kulisse, generierte Komik aber nie durch das Eindringen eines Fremdkörpers in diese Welt. Stattdessen fügten sich seine Protagonisten perfekt ins Bild, benahmen sich irgendwann aber seltsam oder sagten Dinge, die in der Absurdität stecken blieben. Das probierte Vicco v. Bülow auch gerne privat aus. Wenn ihm in einem piekfeinen Restaurant vom Sommelier der erste Probierschluck gereicht wurde, dann konnte dieser seriöse, gut situierte Herr auch mal einen fürchterlichen Hustenanfall bekommen. Um dann, so­bald der Sommelier erbleichte, zu ­nicken: „Wunderbar. Ein sehr guter Wein.“ In seinen Sketchen war Loriot hingegen ein akribischer Humorarbeiter, der seinen Schauspielern millimetergenaue Anweisungen gab, keine Abweichungen duldete und besonderen Wert auf das richtige Timing legte. Meisterhafte Impro­visationstalente, wie Olli Dittrich in seiner Rolle als „Dittsche“, bewunderte er andererseits für ihr Können. 1976, nachdem mit „Loriots Telecabinet“ zwei Jahre zuvor schon eine Art Blaupause entstanden ist, geht v. Bülow zu Radio Bremen, wo mit der sechsteiligen Fernsehserie „Loriot“ ein legendärer Meilenstein des Humors gelegt wird. Seitdem haben schlichte Aussagen wie „Das Bild hängt schief“ oder „Das Ei ist hart“ ihre Unschuld verloren. Und wer einen ­Heiratsantrag im Restaurant plant, sollte um Nudelsuppe sicherheitshalber ­einen weiten Bogen machen. Fun fact am Rande: Vicco von Bülow hat seiner Romi einen Antrag auf dem Friedhof ­gemacht und die „Nudel“ im Kaffee musste von einem Stück Pappe „gedoubelt“ werden, da sie nicht schwimmen konnte. Übrigens wäre „Achwas!“ hier die passende Reaktion.


Unsterbliche Steinlaus

Um unsterblich zu werden, müssen manche Menschen ihr Leben lang schuften. Loriot brauchte dafür gerade mal drei Jahre. Drei Jahre, um seltsam gedrechselten Begriffen wie „Sitzgruppe“, „Kalbshaxe Florida“ oder „Auslegeware“ so etwas wie Würde zu verleihen. Wenige Folgen, um die einzigartige Partnerin Evelyn Hamann in den Humor-Olymp aufsteigen zu lassen. Und nur einen Sketch, um den Satz „Früher war mehr Lametta“ in den deutschen Sprachgebrauch zu verankern. Seitdem hat das Badeentchen in der Wanne eine eigene Geschichte und die „Steinlaus“ einen eigenen Eintrag im Pschyrembel: Im Hinblick auf Nieren- und Gallensteine nahm das medizinische Wörterbuch die fiktive Steinlaus 1983 in seine Seiten auf. Mit ihr hatte Loriot den bekannten Zoologen und Fernsehmoderator Bernhard Grzimek gekonnt parodiert. Als die Steinlaus 1994 in der 257. Auflage des Pschyrembel fehlte, fegte ein allgemeiner Sturm der Entrüstung das Tierchen wieder in die nächste Auflage hinein. Erfolg hin oder her, 1978 ist Schluss mit lustig, Loriot beendet mit der sechsten Folge die gleichnamige Serie. „Man soll nicht immer alles weitermachen, nur weil es funktioniert“, erklärt er im Interview mit dem Schweizer Fernsehen: „Man muss auch etwas Neues machen können. Auch auf die Gefahr hin, dass es nicht funktioniert.“


Quatsch keene Opern!

Denn seine ganz große Liebe ist die Musik. Vor allem Wagner. Und da versteht er keinen Spaß. Als der launige Schweizer Fernsehjournalist von ihm wissen will, ob er bei diesen Wagneropern bisweilen nicht lachen müsse, sinkt die Raumtemperatur im Hause von Bülow um ein paar Grad. Dann erklärt ihm der Hausherr dezidiert, warum Wagneropern nicht komisch seien. Guten Freunden, wie dem Regisseur Stefan Lukschy spielt er in seinem Arbeitszimmer gerne klassische Musik in Orchesterlautstärke vor. Von Bülow bedauerte zeitlebens, dass der Plattenspieler das einzige Musikinstrument sei, das er beherrsche. Doch zu seiner großen Freude darf er 1982 zum 100. Geburtstag der Berliner Philharmoniker ein „humoristisches Festkonzert“ dirigieren. Tatsächlich konzentriert er sich weiter auf die Musik, inszeniert als Regisseur 1986 in Stuttgart die Oper „Martha“ und zwei Jahre darauf den „Freischütz“ in Ludwigsburg. Die kongeniale Zusammenarbeit mit Evelyn Hamann und anderen Kollegen in seinen früheren Sketchen geht ihm aber nie aus dem Kopf. Seit langem träumt er davon, auch mal einen eigenen Film in die Kinos zu bringen. Der Produzent Horst Wendlandt schafft es schließlich, ihn zu einer Zusammenarbeit zu überreden. So wird der 64-jährige doch noch zum Jungfilmer: 1988 hat die Mutter-Sohn-Komödie „Ödipussi“ Premiere, drei Jahre später ist auch „Pappa ante portas“ erfolgreich. Jedes Mal feiern seine Fans das Comeback des Humoristen, doch eine Rückkehr zu den TV-Sketchen schließt er immer entschiedener aus.


Der Schlussakkord

Im April 2006 gibt Loriot bekannt, sich als Fernsehschaffender zurückzuziehen: Seiner Meinung nach sei in diesem Medium wegen der entstandenen Schnelllebigkeit keine humoristische Qualität mehr zu erzielen. In den Interviews seiner letzten Lebensjahre zeigt er sich abermals als klar denkender Mensch mit Prinzipien und Haltung. Mehr denn je ist ihm Parteipolitik zuwider. Sich zu wundern oder zu ärgern sei ein guter Ansporn für Satire, sagt er. Doch Parteien satirisch aufs Korn zu nehmen war nie in seinem Interesse, da ihn immer mehr die menschliche Seite interessiert hat. „Die Satire richtet sich grundsätzlich gegen die Macht“, erklärt von Bülow. Damit meine er aber nicht die Politiker, sondern den Wähler. Zu seinen Prinzipien zählt immer auch Ehrlichkeit. Als Hellmuth Karasek 1993 in einem Interview mit dem damals frischgebackenen 70-jährigen ansetzt „Es hat doch das Alter große Vorzüge..“, schüttelt dieser den Kopf: „Nein. Nur das angenehme Gefühl, die Schularbeiten gemacht zu haben.“ Später fügt er hinzu: „Auch den letzten Lebensabschnitt soll man bewusst erleben, als einen Teil unserer Spielregeln unter denen wir angetreten sind.“ Als 2007 die 19 Jahre jüngere Evelyn Hamann verstirbt, richtet er an ihrem Grab folgende Worte an sie: „Liebe Evelyn, dein Timing war immer perfekt, nur heute hast du die Reihenfolge nicht eingehalten. Na warte…“ Am 22. August 2011 verlässt Bernhard-Viktor „Vicco“ Christoph-Carl von Bülow im Alter von 87 Jahren die Bühne des Lebens. Auf die Frage, was einmal auf seinem Grabstein stehen sollte, antwortete Loriot trocken: „Der Name wäre hilfreich.“ Ob er, als großer Fan der Hunderasse Mops, die Argumente der Tierschutzorganisation Peta gegen die Qualzuchten verstanden hätte? Mit Sicherheit. Einer Diskussion ist er nie aus dem Wege gegangen, denn die Sprache war einer seiner Leidenschaften, aus denen er brillanten Humor entstehen ließ: „Kommunikationsgestörte interessieren mich am allermeisten. Alles, was ich als komisch empfinde, entsteht aus der zerbröselten Kommunikation, aus dem Aneinander-vorbei-Reden.“ In der heutigen Zeit wäre selbst Loriot überfordert gewesen.

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